Wir, die unterzeichnenden, in Deutschland lebenden jüdischen Künstlerinnen, Au­to­rin­nen und Wissenschaftler*innen, möchten mit diesem Schreiben unsere tiefe Besorgnis über die geplante Bundestagsresolution „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ zum Ausdruck bringen – wie sie derzeit von SPD, CDU/CSU, FDP und Grünen verfasst wird. Diese Resolution beansprucht jüdisches Leben in Deutschland schützen zu wollen. Stattdessen stellt sie jedoch in Aussicht, dieses zu gefährden.

Der aktuelle Resolutionsentwurf ist gefährlich. Er wird die freie Meinungsäußerung abwürgen, Deutschland vom Rest der demokratischen Welt isolieren und ethnische und religiöse Minderheiten weiter gefährden, insbesondere unsere arabischen und muslimischen Nachbarinnen, die bereits zur Zielscheibe brutaler Polizeigewalt geworden sind. Selbst wenn diese Folgen irgendwie abgemildert werden würden, erreicht die Resolution ihre eigenen erklärten Ziele nicht. Im Gegenteil, sie wird die Vielfalt des jüdischen Lebens in Deutschland eher schwächen als stärken, indem sie alle Juden mit den Handlungen der israelischen Regierung in Verbindung bringt – eine notorische antisemitische Trope. Sie wird jüdische Stimmen zum Schweigen und jüdische Wissenschaftlerinnen, Schrift­stel­le­rin­nen und Künstlerinnen, die innerhalb und außerhalb Deutschlands arbeiten, in Gefahr bringen.

Solche Bedenken werden in der deutschen und internationalen Öffentlichkeit immer lauter geäußert. Ju­ris­t*in­nen haben Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs geäußert. Anerkannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Jerzy Montag und Michael Barenboim haben kritisiert, dass der Entwurf jüdisches Leben in Deutschland mit den Interessen Israels vermengt. Diese Engführung und ihre Instrumentalisierung durch Behörden, um die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken, schließt genau die Vielfalt jüdischen Lebens aus, die sie zu bewahren vorgibt, und gefährdet jene Rechte, für die sie zu kämpfen vorgibt.

Der aktuelle Resolutionsentwurf fordert Bund und Länder auf, neue Regelungen zu schaffen, um öffentliche Mittel für Kunstprojekte, die als antisemitisch eingeschätzt werden einzuschränken, und neue Disziplinarstellen zu schaffen, um neue Strafen für Antisemitismus im Unterricht und auf dem Campus zu verhängen. Zu unseren Bedenken gehört, dass der Entwurf die Behörden anweist, sich ausschließlich auf die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) für Antisemitismus zu beziehen, um diese Beurteilungen zu treffen. Die IHRA-Arbeitsdefinition ist dafür breit kritisiert worden, dass sie berechtigte Kritik an der israelischen Regierung mit Antisemitismus gleichsetzt. Liberale Zio­nis­t*in­nen und sogar der Autor der Definition selbst hat angemerkt, dass die Definition missbraucht wird, um Kritik an Israel zum Schweigen zu bringen. Die Verwendung der IHRA-Arbeitsdefinition in einer früheren Resolution, der BDS-Resolution von 2019, wird derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten. Da seit 2021 mit der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus eine anerkannte alternative Definition zur Verfügung steht, gibt es keine Rechtfertigung für ihre ausschließliche Verwendung.

Die Probleme mit der Resolution enden nicht mit ihren Definitionen. Der Entwurf ist auf Künstlerinnen, Stu­den­tin­nen und Mi­gran­tin­nen als die gefährlichsten antisemitischen Tä­te­rin­nen des Landes fixiert und suggeriert, dass die größte Bedrohung für Jü­din­nen von Menschen ausgeht, die mit linker Politik in Verbindung gebracht werden und von außerhalb Deutschlands kommen. Dies ist eine böswillige Verzerrung der Realität, die auf der falschen Verquickung von Antisemitismus und jeglicher Kritik an der israelischen Regierung beruht. Als Jü­din­nen weisen wir insbesondere die in der Resolution enthaltene Behauptung zurück, dass der Antisemitismus von Mi­gran­t*in­nen nach Deutschland, der Wiege des Nationalsozialismus, importiert wurde.

Es ist klar, dass die überwältigende Mehrheit der antisemitischen Straftaten ihren Ursprung im deutschen Rechtsextremismus hat, eine Tatsache, die seit langem von der Bundesstatistik bestätigt wird. Wir haben keine Angst vor unseren muslimischen Nach­ba­rin­nen und auch nicht vor unseren Künstlerkolleginnen, Schrift­stel­le­rin­nen und Akademikerinnen. Wir fürchten die wachsende Rechte, wie sie sich in Massenversammlungen von Neonazis zeigt, die durch ein nationales Klima der fremdenfeindlichen Angst ermutigt werden. Wir fürchten die Alternative für Deutschland, die zweitstärkste politische Partei des Landes, deren Führungsfiguren wissentlich Nazi-Rhetorik verbreiten. Diese Bedrohung wird in der Resolution kaum erwähnt, die sich stattdessen auf Aus­län­de­rin­nen und Minderheiten konzentriert – eine beschämende Ablenkung von der größten Gefahr für Jü­din­nen in Deutschland. Es zeigt, dass Deutschland seine Vergangenheit noch nicht bewältigt hat.

Die Ausarbeitung der Resolution fand in geschlossenen Räumen statt, ohne öffentliche Gespräche und ohne die Perspektiven einer Vielzahl verschiedener jüdischer Gruppen zu berücksichtigen. Der daraus resultierende Text spiegelt weder einen demokratischen Prozess noch die Vielfalt der jüdischen Mainstream-Perspektiven wider. Sollte er verabschiedet werden, werden Tausende von israelischen und anderen jüdischen Aka­de­mi­ke­rin­nen und Künst­le­rin­nen unter den Generalverdacht des deutschen Staates gestellt.

Wenn sich die deutsche Politik wirklich für eine pluralistische und offene Gesellschaft einsetzen will, die auch jüdische Menschen einschließt, muss sie sich ihren eigenen autoritären Tendenzen stellen. Sie sollte sich mit Ideologen wie dem ehemaligen grünen Bundestagsabgeordneten Volker Beck kritisch auseinandersetzen, der die Gruppe, die die Resolution verfasst hat, dazu gedrängt hat, jeden öffentlichen Aufschrei über den Schaden zu ignorieren, den diese Resolution der Kunst und der akademischen Welt zufügen könnte – ebenso wie der deutschen Demokratie. Diese Resolution fördert die Idee, dass Deutschland für Jü­d*in­nen nur durch repressive antidemokratische Maßnahmen sicher gemacht werden kann. Es ist jedoch immer ein Fehler, demokratische Prinzipien für kurzfristigen populär-politischen Erfolg aufzugeben. Vor allem Deutschlands politische Führungsriege sollte es besser wissen.

Wir fordern, dass eine Vielzahl jüdischer Perspektiven und nicht nur solche, die den deutschen Gefühlen schmeicheln, zur Beteiligung an der Ausarbeitung einer in unserem Namen verabschiedeten Resolution eingeladen werden. Wir bestehen darauf, dass der deutsche Staat jüdisches Leben nicht allein durch repressive Maßnahmen schützen kann. Wir schreiben in der Überzeugung, dass der einzige Weg, jüdisches Leben in Deutschland zu „schützen, zu erhalten und zu stärken“, darin besteht, die Rechte aller Minderheiten zu schützen, zu erhalten und zu stärken. Wenn es eine Lehre aus der Katastrophe des Holocausts gibt, dann ist es diese: „Nie wieder“ bedeutet „nie wieder für alle“.

Unterzeichnet:

Karen Adler, Historikerin

Alma Albert, Kunstkonservatorin

Aviad Albert, Linguist

Udi Aloni, Filmemacher

Tamar Amar-Dahl, Historikerin

Daniel Antoszyk

Ido Arad, Dirigent

Josh Axelrod, Journalist

Prof. Dr. Kurt Bader, Professor Emeritus

Michael Baers, Künstler und Wissenschaftler

Roii Ball, Historiker

Michael Barenboim

Joram Bejarano, Musiker

Eliana Ben-David, Musikradio-DJ und Kurator

Avi Berg, Künstler

Judith Bernstein

Sanders Isaac Bernstein, Schriftsteller

Adam Berry, Journalist

Candice Breitz, Künstlerin

Adam Broomberg, Künstler

Cora Browner

Jevgeniy Bluwstein, Sozialwissenschaftler

Alexander Theodore Moshe Cocotas, Schriftsteller und Fotograf

Dror Dayan, Filmemacher und Akademiker

Anita Di Bianco, Künstler

Esther Dischereit, Schriftstellerin

Tamar Ilana Dolezal

Tomer Dotan-Dreyfus, Freier Autor und Übersetzer

Michael Dunajevsky

Asaf Dvori, Dichter

Deborah Feldman, Autorin

Sylvia Finzi, Bildkünstlerin

Erica Fischer, Schriftstellerin

Jonathan Fridman

Ruth Fruchtman, Schriftstellerin

Tom Givol

Harry Glass

Paul Grossman, Psychologe

Julia Gyemant, Kurator

Iris Hefets, Psychoanalytikerin

Wieland Hoban, Komponist und Übersetzer

Michal Kaiser-Livne, Psychoanalytikerin

Aurelia Kalisky

Barrie Kosky, Theater- und Opernregisseur

Quill Kukla, Philosoph und Autor

Matt Lambert, Filmemacher und Künstler

Elad Lapidot, Professor für Judaistik

Jacob Wolf Lefton, Schauspieler, Schriftsteller, und Friedensstifter

Hadas Leonov, Softwareentwickler

Lindsay Lerman, Autorin

Eliza Levinson, Schriftstellerin und Lektorin

Ruth Lewis, Freiberuflicher Illustrator

Rapha Linden, Schrift­stel­le­r*in

Adi Liraz, Künstlerin und Pädagogin

Ruth Luschnat, Heilpraktikerin – Einzelfallhilfe

Liav Keren, Datenwissenschaftler

Ben Mauk, Schriftsteller und Journalist

Ben Miller, Schriftsteller und Historiker

Yonatan Miller, Gewerkschafter

Liron Milstein, Schriftsteller

Peaches Nisker, Musikerin

Jason Oberman, Musiker, Wissenschaftler

Jesse Olszynko-Gryn, Historiker

Rachel Pafe, Schriftstellerin und Wissenschaftlerin

Lucy Park, Künstlerin

Mark Peranson, Kurator und Schriftsteller

Siena Powers, Künstlerin und Schriftstellerin

Tamar Raphael, Schriftstellerin

Udi Raz, Doktorand

Emilia Roig, Schriftstellerin

Liz Rosenfeld, Künstlerin

Tomer Rosenthal, Künstler

Ryan Ruby, Autor

Rebecca Rukeyser, Schriftstellerin

Lottie Sebes, Künstlerin

Zoe Schattenburg

Oded Schechter, Wissenschaftler, Judaistik und Philosophie

Adam Schorin, Schriftsteller und Filmemacher

Anton Sefkow, Wissenschaftler

Mati Shemoelof, Schriftsteller und Kurator

Univ.-Prof. Dr. Marc Siegel, Professor für Filmwissenschaft

Lili Sommerfeld, Musikerin und Schriftstellerin

Shaked Spier, Wissenschaftler und Aktivist

Maya Steinberg, Filmemacherin

Shelly Steinberg

virgil b/g taylor, Künstler

Aria Tilove, Naturwissenschaftlerin

Katharina Verleger, Wissenschaftlerin

Daphna Westerman, Künstlerin und Doktorandin, Visuelle Kulturen

Albert Wiederspiel, Ehemaliger Leiter

Roland Wiegel, Azubi

Adam Stanley Wilkins, Schriftsteller, Akademiker und Biologe

Lily Zlotover, Künstlerin